„Fremd“ – das ist die Erfahrung: ich gehöre nicht dazu, ich halte mich zurück, ich bin unsicher, vieles ist mir unbekannt und unvertraut. „Heimat“ – das ist die Erfahrung: ich nehme teil, ich spüre Sicherheit und Vertrauen, ich gehöre dazu. „Fremde Heimat“ – das ist die Erfahrung: Ich habe meine Wurzeln woanders. Ich habe einen neuen Lebensort gefunden. Ich bin das Wagnis einer zweiten Heimat eingegangen.
Vier Frauen des türkischen Müttertreffs erzählen von ihren Erfahrungen. Mitgefühl, Verstehen und Zustimmung ist in vielen Gesichtern zu sehen. „Das kennen wir.“ „So ähnlich haben wir das auch erlebt.“ Längst nicht alle Einheimischen stammen aus Ergenzingen. Viele haben auch einmal ihre Heimat verlassen, wenn damit auch nicht unbedingt das Erlernen einer neuen Sprache verbunden war. Die Frauen erzählen, dass sie sich am Anfang oft leer und bedrückt gefühlt haben – fern von ihren belebten Heimatstädten. Auch die Angst, sich nicht ausdrücken zu können, nicht verstanden zu werden, war groß. Oft fand der erste Kontakt mit Deutschen erst im Kindergarten statt. Jetzt waren es die eigenen Kinder, die motivierten, die Angst vor dem Erlernen der deutschen Sprache zu überwinden, die Sorge, nicht gleich perfekt zu sein zu überwinden. „Unsere Kinder sollen eine gute Zukunft haben; wir wollen auch deutsch mit ihnen sprechen können.“ So lernen viele Mütter gerade in Ergenzinger Deutschkurs die Sprache. Damit zu leben, dass die Migration nach Deutschland auch bedeutet, den erlernten Beruf hier nicht ausüben zu können, ist für einige Frauen bedrückend. Und die Sehnsucht nach der Herkunftsfamilie in der fernen Heimat groß.
Einen Fremden aufzunehmen als wäre er einer, der schon immer zu uns gehört, das ist eine Orientierung, die beide Religionen in ihren Schriften verankert wissen. Gastfreundschaft und Integration werden groß geschrieben. Um das kulturelle Zusammenleben zu stärken, braucht es Brückenmenschen, die Teilhabe aneinander ermöglichen, weil sie beide Sprachen sprechen und die Fähigkeit haben, die Neugierde und das Interesse aneinander zu gestalten. So wurde dieser Abend zweisprachig gehalten.
Die Sprache des Landes, in dem man lebt, zu sprechen, ist eine große Herausforderung, jedoch so wichtig, weil das gegenseitige Verstehen wesentlich die Sprache braucht, betonte Oberbürgermeister Stefan Neher. Wer Gesellschaft mitgestalten will, benötigt die deutsche Sprache. Diese Einsicht wurde an diesem Abend auch dadurch bewusst, dass die deutschsprachigen Teilnehmer/innen spürten, wie es ist in der Fremde zu sein und Sprache nicht zu verstehen und aus den Augen des Fremden zuzuhören. Und umgekehrt die türkischsprachigen Teilnehmer/innen vermittelten, wie viel Nähe es schafft, wenn man die Sprache versteht oder beginnt sie zu lernen.
Ein beeindruckender Abend liegt hinter uns. Menschen, Gesichter, kleine Szenen, Lächeln auf den Gesichtern, Leuchten in den Augen bleiben den 65 Personen in Erinnerung, die dabei waren. Mit der Neugierde, dass wir mehr voneinander erfahren und lernen möchten, gingen wir auseinander.
Text: Hilal Bahadir und Claudia Hofrichter