Osterhoffen

Leeres Grab, Bild: Michael Baldauf

Ein geistlicher Impuls zum Osterfest

„Das Grab ist leer.“ Die Lebensfreude in diesem Satz der Osterbotschaft geht mir gerade nicht so leicht über die Lippen. Nur allzu tief haben sich mir in den vergangenen Wochen die Bilder von den Massengräbern in der Ukraine eingeprägt. Würdige Bestattungen der Opfer dieses unbarmherzigen Krieges wurden irgendwann, je mehr Menschen starben, unmöglich. Diese Gräber sind nicht leer. Sie sind gefüllt mit dem Mut, für das eigene Land gekämpft zu haben, sie sind gefüllt mit der Trauer, dass geschehen konnte, was man nicht für möglich gehalten hatte, sie sind gefüllt mit dem Schmerz derer, die allein, verzweifelt, verloren zurückbleiben und ihren Weg in die Zukunft noch nicht sehen können. „Ostern – Halleluja, das Grab ist leer“ geht da nicht so einfach über die Lippen.

Wie 2022 von Ostern reden. Der Prophet Micha hilft mir ein wenig weiter.

Gott wird Recht schaffen zwischen den Völkern
und mächtige Nationen zurechtweisen bis in die Ferne.
Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden
und ihre Lanzen zu Winzermessern.
Sie erheben nicht mehr das Schwert,
Nation gegen Nation,
und sie erlernen nicht mehr den Krieg.

Dieses Prophetenwort – ich stelle mir vor, dass es den Menschen in der Ukraine und denen, die geflüchtet sind, jeden Tag ins Ohr geflüstert – nein, zugerufen wird. Ich stelle mir vor wie es sich einprägt in ihr Herz und in ihre geschundene Seele und wie sie daraus die Kraft schöpfen, um ihre Heimat und um Frieden zu kämpfen. Und noch mehr möchte ich mir vorstellen, dass diese Worte wirken. Die Welt kennt die Erfahrung, dass Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden, die Welt kennt die Macht humanitären Handelns, die Welt kennt die Kraft, was geschieht, wenn viele zusammen halten. Es muss doch möglich sein, dass auch jetzt wieder Schwerter zu Pflugscharen und Lanzen zu Winzermessern werden.

Man übt nicht mehr für den Krieg.
Jeder sitzt unter seinem Weinstock
und unter seinem Feigenbaum,
und keiner scheucht ihn auf.

Das ist der Inbegriff des Friedens. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg und Gewalt – doch wie gut wäre es schon, wenn Krieg und Gewalt gestoppt wären. Der Weg zum Frieden ist lang. Die Anzahl der Menschen, die sich nach Frieden sehnen, dürfte ungleich größer sein als die Zahl derer, die sich der Kriegslist anschließen. Frieden zwischen Völkern und Kulturen, Schalom für alle – das war auch Jesu Idee von einer Weltgemeinschaft. Er kannte das Wort des Propheten Micha. Jesus setzte durch seine Lebenshaltung alles daran, dass Menschen heilsam füreinander und in Frieden zusammenleben. Er bezahlte seine Vision mit dem Tod. Im Licht des Propheten Micha gelesen ist die Rede vom leeren Grab Jesu der Hoffnungsanker, dass es Frieden geben kann – dann, wenn wir auf Gottes Wort hören, damit diese Vision kein Wunschtraum bleibt. Wenn Gott Recht schafft, indem er Jesus nicht im Tod gelassen hat, und wenn ich daran glaube, dass unser Friedenshandeln wirkt, dann stimmt auch heute die Rede vom leeren Grab, denn

„Ein Grab greift tiefer als die Gräber gruben,
denn ungeheuer ist der Vorsprung Tod.
Am tiefsten greift das Grab,
das selbst den Tod begrub,
denn ungeheuer ist der Vorsprung Leben.

(Kurt Marti)

Diese Osterhoffnung trage uns durch diese Tage.

Claudia Hofrichter, Geistliche Leiterin im Diözesanverband Rottenburg-Stuttgart