Ostern ohne Gottesdienst

Ein geistlicher Impuls zu Ostern

Ehrlich – ich kann es mir noch gar nicht vorstellen. Fast mein ganzes Leben lang bin ich es gewohnt, von Gründonnerstag bis Ostermontag alle Gottesdienste zu besuchen. Und vor allem dann das Osterhalleluja singen zu können. Die Nachricht „Keine Ostergottesdienste“ löste in mir ein kleines Erdbeben aus. Das tut mir weh, das lässt mich leiden – und ich spüre, ich muss lernen, mich zu dieser Situation zu verhalten, dass dann bei mir Ostern werden kann.

Doch zunächst möchte ich Euch Anteil nehmen lassen an dem, was mich sehr bewegt. Es sind die unvollendeten Überlegungen der querdenkenden Theologin in mir zu dem, was gerade passiert. Ich kenne Menschen, die diese Meinung teilen, und ich treffe Menschen, die sagen „Claudia, auch das andere soll es geben“. Und diese Gedanken entstehen aus dem Hin- und Hergerissen sein, was Ostern ohne Gottesdienst in einem tiefen Sinn bedeuten könnte.

Ostern ohne Gottesdienst – ja, ganz langsam kommt meine Seele nach. Doch der Schmerz wird bleiben. Mich irritiert etwas, dass es Ausnahmen von der unfreiwilligen Eucharistieabstinenz gibt. Die Priester sind angehalten, so auf der Homepage der Diözese, die Ostergottesdienste in der Kirche mit sich allein zu feiern. Ich empfinde das so, dass unsere Priester nicht wirklich mit uns Gemeindemitgliedern durch die Wüste gehen, sondern weiterhin am gedeckten Tisch sitzen und davon essen. Ich hätte es als ein so starkes Zeichen gefunden, wenn alle gemeinsam durch diese totale Wüste gehen würden. Das wäre für mich radikale gemeinsame Nachfolge und Solidarität. – Für mich sind die Onlinemessen ohne Gemeinde ein pastoral eher schwieriger Lösungsversuch, denn kein anderes Sakrament darf gefeiert werden. Ich weiß zugleich, dass sie von vielen angenommen werden: Besser als nichts, höre ich immer wieder. Ich erlebe es allerdings so, dass in Krisenzeiten – wie es der Kulturwissenschaftler Jan Hinrichsen dieser Tage formulierte - Hierarchien neu betont werden. Das ist das zweite, was ich gerade fühle. Es gibt in der Wüste privilegierte Menschen. Ich erlebe das als neuen Klerikalismus. Priester feiern, Gemeinde bleibt vor der Tür, um es plakativ zu formulieren. Es gelten verschiedene Maßstäbe. Dass Priester die Messe „für die Gemeinde feiern“ sollen ist zwar ein schöner Gedanke – doch bitte nicht ohne uns. Und wie mag es ihnen selbst dabei ohne Gemeinde gehen? Ich hatte auf das starke Zeichen des gemeinsamen Verzichtens gehofft. Dann hätte ich den Verzicht auf die Begegnung mit Jesus Christus im Brot des Lebens leichter verkraften können. Dieser Verzicht muss ja nun über viele Wochen geleistet werden von uns Gemeindemitgliedern – und nur von uns. – Gleichzeitig weiß ich all die Bemühungen in den Gemeinden zu schätzen, die versuchen online ein wenig Gemeindeleben aufrecht zu erhalten durch geistliche Impulse, durch Handreichungen, durch Glockenläuten und Gebetsketten. Meine eigene Kolpingsfamilie hat ebenfalls eine Initiative gestartet.

Was ich erlebe bei dem „Ostern ohne Gottesdienst“ ist auch dies: ich bin ganz und gar auf meine Beziehung zu Jesus Christus zurückgeworfen. Ich bin ganz und gar darauf angewiesen, die Nähe zu Gott im Gebet zu spüren. So wird dieses Ostern ohne Gottesdienst zu einem Testfall des Glaubens in dürren Zeiten. Dieses Ostern ohne Gottesdienst und ohne gemeinsames Halleluja wird mir vermutlich zeigen, wie eng ich Christus verbunden bin, wie stark mich jetzt in der Wüste trägt, was ich glaube und was ich in vielen Jahren erfahren habe – nämlich, dass nichts mich trennen kann von der Liebe Christi.

Und ich freue mich auf den Versuch unserer Kolpingsfamilie, sich in der Whatsappgruppe online zu einer kleinen Osteragape zu treffen. Ostern ohne Gottesdienst wird es auch durch die vielen Initiativen, an denen sich unsere Kolpingsfamilien beteiligen, um zu helfen, um miteinander in Verbindung zu bleiben, um all diejenigen zu unterstützen, die jetzt am meisten gefordert sind, und all denen innerlich und betend nahe zu sein, denen das Virus hart zusetzt oder gar das Leben nimmt. Vielleicht ist das der tiefste Gottes-Dienst, den Brüdern und Schwestern beizustehen in all den Formen, die dieser Ausnahmezustand gerade noch möglich macht.

Und auch diese Erfahrung lässt Ostern werden:
Gott sei Dank, du lebst!

Als ich im Januar diesen Jahres schwer erkrankt war, hörte ich Freunde sagen: „Gott sei Dank, du lebst!“ Dieser Satz begann mich zu begleiten und der Gedanke, wichtig für Freunde und andere Menschen zu sein, tat mir in den darauffolgenden Wochen der Gesundung gut.

„Gott sei Dank, du lebst“ wird gerade zu einem Schlüsselsatz für diese Zeit. Von jedem Menschen, der von Covid-19 genesen ist, sagen wir: „Gott sei Dank, du lebst“. Was leisten doch all die vielen Ärzte, Arztinnen und Pflegenden, dass Schwerkranke weiterleben können. Das ist mit Auferstehung in diesem Jahr 2020 eng verbunden. Die Auferweckung Jesu erscheint in einem neuen Licht

„Gott sei Dank, du lebst!“ – diesen Ausruf dürfen wir gerne auch den Zeuginnen und Zeugen in den Mund legen, die Jesus nach ihrer ganzen Verzweiflung über sein grausames Sterben in ganz neuer Weise wiederentdeckt und wiedergesehen haben.

Möge ihre Erfahrung uns stärken und der Coronakrise zum Trotz singen lassen: Halleluja, Jesus lebt.

In diesem Sinn: Gesegnete Ostern“

Claudia Hofrichter, Geistliche Leiterin im DV Rottenburg-Stuttgart