Das schier Unmögliche wagen

Bild: Peter Weidemann in Pfarrbriefservice

Unsere Geistliche Leiterin im Diözesanverband, Claudia Hofrichter, scheibt in ihrer Pfingstbotschaft, dass Gottes Geistkraft verschlossene Türen aufbricht. Sie bezieht sich auf Joh 20,19-23.

Manchen klingt es noch in den Ohren, wie Papst Leo wenige Minuten nach seiner Wahl die Menschen auf dem Petersplatz gegrüßt hat: „Friede sei mit euch“. Damit hat er ins Mark getroffen. Die einen hat er bestätigt in ihrem unbändigen Wunsch, dass es doch möglich sein müsste, dass die Mächtigen der Welt in allen Krisenherden und Kriegsgebieten den Frieden wollen. Die anderen hat er aufgerüttelt, weil sie sich vielleicht schon daran gewöhnt hatten, dass wieder Krieg in Europa ist, Krieg im Nahen Osten und in weiteren Regionen der Welt. Dazwischen gibt es viele Nuancen. Es gibt diejenigen, die aus der Friedensbewegung der 1970er-Jahre heraus noch bewegt sind und dieses Pax et Bonum und Schwerter zu Pflugscharen als ihr Credo leben. Es gibt diejenigen, die zu Kundgebungen auf die Straße gehen und öffentlich sichtbar machen, dass der Unfriede nicht das letzte Wort haben kann.

Wer sich in sich selbst eingeschlossen hat, ist nicht mehr offen. Wer sich in sich eingeschlossen hat, lässt keine anderen Meinungen mehr zu, sieht nur noch die eigene Perspektive – und wenn es sein muss, würde er sie selbst dann akzeptieren, wenn sie in den Untergang führen würde. Aktuell begegnen uns in der Weltgeschichte solche Szenarien. Autokratisch gesinnte Machthaber wollen nicht das Wohl aller auf der Welt, sondern sind allein auf das eigene Wohl, die eigene Macht ausgerichtet. Die Gefahr, die darin liegt, ist klar. Zerstörung, Unheil, Vertreibung, Not, Zerbrechen der Lebensträume vieler Menschen.

Den Jüngerinnen und Jüngern „damals“ scheint es ähnlich ergangen zu sein, dass sie nur noch in sich eingeschlossen waren, nichts mehr um sich herum wahrnahmen, das Nötige nicht mehr erkannten. Für sie war es das Wort Jesu, das ihre Herzen wieder frei machte. „Friede sei mit euch“ war für sie das Schlüsselwort, der Türöffner. Dazu das Zutrauen Jesu, sich neu auszurichten, nach vorne zu schauen. Jesus sendet sie, obwohl sie die Eignungsprüfung dazu nicht unbedingt bestanden hatten. Jesus sendet sie und traut ihnen zu, sich und die Menschen wieder in Bewegung zum Frieden zu bringen. Was dazu gehört, sagt er auch: Vergebung.

Nun, mit der Vergebung ist das keine so einfache Sache. Jesu Botschaft ist eindringlich. Vergeben heißt radikal umdenken. Vergebung heißt, sich selbst und die anderen lieben. Vergebung heißt, einen neuen Geist wehen lassen.

Dieser neue Geist könnte für diese Welt und für die Friedensverhandlungen die Geistkraft Gottes sein. Jene Geistkraft, die die Menschen damals bewegt hat, jene Geistkraft, die uns heute bewegen kann. Nicht allein die Mächtigen sind diejenigen, die gefordert sind, den Frieden zu wollen, sondern jede und jeder von uns trägt im Kleinen dazu bei. Kolpingmenschen sind Friedensstifter*innen.

Die große Zumutung von Pfingsten drückt die Dichterin Gertrud von le Fort so aus: „In der Verzeihung des Unverzeihlichen kommen wir der göttlichen Liebe am nächsten.“ Das ist die radikale Botschaft von Pfingsten: Das schier Unmögliche zu wagen. 

Claudia Hofrichter

Geistliche Leiterin im Diözesanverband Rottenburg-Stuttgart