Adolph Kolping (1813-1865) und Bertha von Suttner (1843-1914) in diesem Sommerimpuls in einen Zusammenhang zu stellen, mag verwegen sein. Ihre Biografien sind so unterschiedlich, wie sie es unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine will raus aus seinem Milieu und aufsteigen, die andere flieht aus ihrer Adelsfamilie für ein Leben, wie sie es sich vorstellt und für das sie sich zeit ihres Lebens einsetzt. Die beiden waren nicht wirklich Zeitgenoss:innen. Bertha von Suttner war gerade mal 22 als A. Kolping starb. Vielleicht hatte sie einmal von ihm gehört. Eine geistige Verwandtschaft besteht zwischen beiden allemal. So stelle ich heute gerne Bertha von Suttner ein wenig vor.
„Die Zukunft gehört der Güte!“ Die Wienerin Bertha von Suttner war davon überzeugt. Sie war eine eigenständige und selbstbewusste Frau, die für ihre Überzeugungen einstand. Heute würde man sie eine Feministin und Friedensaktivistin nennen. Sie stammt aus einer Adelsfamilie, deren Umfeld sie für die Liebe ihres Lebens verließ. Bertha von Suttner wollte viel verändern in ihrer Zeit. Sie sah – ähnlich wie Adolph Kolping – die wunden Punkte der Gesellschaft und wollte Veränderung. Für sie war klar, dass die Rolle der Frau sich stark verändern und Frauen aufstreben müssten in gesellschaftliche und politische Ämter. An den von ihr gegründeten Frauenbund innerhalb der Deutschen Friedensgesellschaft schrieb sie bereits schwerkrank im Mai 1914: „Die Zeit rückt immer näher, da die Frauen im Rat der Völker, in der Lenkung politischer Dinge Sitz und Stimme besitzen werden, es wird ihnen daher möglich sein, gegen das, was sie als Kulturschäden erkannt haben, nicht lediglich zu protestieren, sondern an der Umwandlung der Zustände tätig und praktisch mitzuwirken. Dabei werden und dürfen sie ihre spezifischen weiblichen Eigenschaften – als da sind: Milde, Reinheit, Mitleid, warme Menschenliebe – nicht zurückdrängen, sondern mit in den Dienst stellen.“ Welch‘ ein Aufruf zum Handeln, weg von Kinder, Küche, Kirche hin zur politischen Tätigkeit, hin zum Einsatz für die Gesellschaft, – ohne sich dabei der typisch Frauen zugeordneten Eigenschaften entledigen zu wollen. Vielmehr ist Güte für sie eine starke Option, die Welt in Bewegung zu bringen und friedlich zu verändern.
Bertha von Suttner war auch Friedensaktivistin. Sie war die erste Frau, die an einer Friedenskonferenz teilnahm und dort verspottet wurde, weil ihre Teilnahme als „unweibliches Handeln“ verstanden wurde. Davon ließ sie sich nicht beirren. 1889 veröffentlichte sie den Anti-Kriegs-Roman „Die Waffen nieder!“. Sie schildert darin die Schrecken des Krieges aus Sicht einer Ehefrau. Das Buch wird ein Welterfolg, Bertha von Suttner ist eine der Protagonistinnen der internationalen Friedensbewegung. 1892 gründete sie die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG). Sie war eng mit Alfred Nobel befreundet und veranlasste ihn zur Stiftung des Friedensnobelpreises. Die Gräuel des Kriegs waren für sie unerträglich: „Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegputzen zu wollen – nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden!“ Sie warnte oft vor einem nächsten Krieg. Den Ausbruch des zweiten Weltkrieges erlebte sie nicht mehr. Den Krieg zu hassen und den Frieden zu lieben, war ihre lebenstreibende Kraft. 1905 erhielt sie als fünfter Mensch und erste Frau selbst den Friedensnobelpreis verliehen.
Bertha von Suttner ist für mich auch eine wesentliche Impulsgeberin, wenn es darum geht, zu verstehen, weshalb gerade von einer Zeitenwende die Rede ist. Der Krieg in der Ukraine hat diese Rede von der Zeitenwende hervorgebracht. Bertha von Suttner erlebte selbst eine Zeitenwende und war davon überzeugt, dass nur friedliche Mittel nachhaltigen Erfolg bringen könnten. Sicher wäre der Weg der Diplomatie der ihre gewesen. Vermutlich wäre sie am Scheitern des diplomatischen Weges schier verzweifelt. Doch Verzweiflung kannte sie nicht – zumindest nicht als Dauerzustand. Sie kannte, was eine „Zeitenwende“ mit sich bringt: Verunsicherungen, Versuche, schnelle Lösungen zu finden, Zukunftsangst, Normalität und Routine anzustreben, …
Und hier ist die Verbindung zu Adolph Kolping wieder da. „MUT“ ist die Haltung, die beide zutiefst gelebt haben. Ihr Mut hat die Welt und die Herzen vieler Menschen bewegt. Ihr Mut hat verabscheuungswürdige Zustände klar beim Wort genannt und Veränderungen bewirkt. Das ist der Kolpingauftrag heute, sich den Veränderungen stellen, auch wenn es anstrengend ist, denn auch unsere Kolpingsfamilien erleben eine Zeitenwende in ihrer Struktur und in ihren Aufgaben. Stellen wir uns unserem Auftrag.
Claudia Hofrichter
Geistliche Leiterin Im DV Rottenburg-Stuttgart