„Steht auf und gebt der Welt ein Lebenszeichen;
in jedem von euch brennt dasselbe Licht.
Noch ist es dunkel, doch die Nacht wird weichen.
Schenkt der Welt ein menschliches Gesicht."
Diese Zeilen stammen aus dem Lied "Lebenszeichen" im Musical "Kolpings Traum". Das Musical hat mich erneut gelockt – diesmal meisterhaft aufgeführt von der Jungen Akademie Stuttgart anlässlich deren 15-jährigem Jubiläum und angesichts 175 Jahre Kolpingwerk Deutschland.
Diese vielen jungen Künstlerinnen und Künstler haben mich mit ihrem Spiel sehr berührt. Sie haben ihrem Publikum eine Zeit nahegebracht, die ihnen selbst fremd ist. Eine Zeit, die sie nur aus Geschichtsbüchern kennen und die sie sich nun gewissermaßen „einverleibt“ haben, um den Traum des jungen Adolph Kolping überzeugend in Szene zu setzen.
In vielen Szenen war unsere Gegenwart zu spüren:
- Die Zerrissenheit der damaligen Menschen existiert leider auch heute noch mit anderem neuem Gesicht. Die Kundgebungen am 1. Mai werden wieder auf heutige Missstände in der Arbeitswelt aufmerksam machen.
- Das Gefühl von Verlorenheit, das der Sinnsuche damals schon keinen Sinn mehr zu geben vermochte, spiegelt sich heute in den Gesichtern von Menschen, die zu den am wenigsten Wahrgenommenen auf dieser Welt gehören.
- Unzufriedenheit führt leicht zu Gewalt, Extrempositionierungen und einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Auch das kennen wir wieder nur zu gut.
- Die Spannung zwischen einer Realität, in der Menschen keine Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lebenssituation mehr haben, und der kirchlichen Verkündigung, die bis heute nicht immer die richtigen Worte findet, geht mir als Kirchenfrau durch Mark und Bein.
Adolph Kolping brauchte eine lange Zeit, um seinen Traum einer besseren Welt zu erkennen, um zu erkennen, auf welchem Weg er Menschen erreichen kann, um einen gewaltfreien Weg zu mehr Menschlichkeit und Menschenwürde zu finden und konsequent zu gehen.
Frieda Karcher, die wohlhabende Industrieellenfrau und Förderin Adolph Kolpings, singt ihm eindringlich ins Herz:
In deinen Händen hältst du einen Traum
Mit deinen Händen kannst du weiter an ihm bauen
Lass dich nur von ihm leiten
Glaub an ihn, gib ihm Zeit
In deinen Händen
Wird dieser Traum zur Wirklichkeit
Hab das Vertrau‘n
In deinen Traum
Adolph Kolping war geplagt von häufigen Selbstzweifeln, manchmal wollte er selbst fast aufgeben – auch noch als er bereits sein Ziel, Priester zu sein, erreicht hatte. Seine früheren Gesellenkollegen und sein Freund Karl Wagner stellten ihn auf eine harte Probe. Doch sein Traum wurde in ihm wachgehalten, Freunde erinnerten ihn daran, Freunde, die so dringend einen Menschen brauchten, der ihren Traum zu seinem machte und ihn mit ihnen lebte.
Diese eindringliche Erinnerung braucht Adolph Kolping bis er sein riskantes Ziel erreicht hatte. Trotz aller Rückschläge hält er an seinem Traum einer Gemeinschaft für junge Arbeiter fest. Halt, Bildung und Zukunft will er ihnen gegen allen Widerstand geben.
Mein großer Wunsch ist es, dass das 175-jährige Jubiläum des Kolpingwerkes, das wir vom 2. bis 4. Mai in Köln feiern, uns neuen Schwung gibt, Kolpings Traum heute zu leben und für die Zukunft zu handeln. Stehen wir auf und schenken wir der Welt ein menschliches Gesicht!
Claudia Hofrichter, Geistliche Leiterin im Diözesanverband Rottenburg-Stuttgart